Dr. Hermann Schick · Sommer 2011 · Foto: Lorenz Obleser
Dr Nikolai Häußermann, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Marbach, würdigte bei der Trauerfeier für unser Mitglied Dr. Hermann Schick (1. März 1930 bis 11. Juni 2024) dessen Verdienste mit nachstehender Rede.
Hermanns Schicks Beitrag im ersten Band seiner Stadtgeschichte zu Marbach beginnt mit dem Satz: “Kein Ereignis des 18. Jahrhunderts hat die Entwicklung Marbachs nachhaltiger beeinflusst, als die Geburt Friedrich Schillers am 10. November 1759”. Lässt sich das nicht auch über das Verhältnis von Hermann Schick zur SPD Marbach seit seinem Eintritt am 07.04.1970 in die SPD sagen? War Hermann Schick nicht eine Art Schiller der SPD Marbach? Verfolgen wir den Gedanken weiter, dann könnte man sagen, dass Hermann Schick wie Schiller ein Ideengeber, ein Historiker und ein Vermittler war. Lassen Sie mich diesen Gedanken im Folgenden mit einigen Beispielen ausführen.
- Der Ideengeber
Wie Schiller in seiner Schrift “Über die ästhetische Erziehung des Menschen” ausführt, ist eine Veränderung der Gesellschaft nicht durch Revolution und Gewalt der Königsweg, sondern über Bildung. Als Gemeinderat war Hermann Schick deshalb die Bildung bei jeder Haushaltsrunde ein besonderes Anliegen. Das Resultat können wir am Leiselstein bewundern. Das Friedrich-Schiller-Gymnasium gilt als eines der besten Gymnasien des Landes. Auch die Ausstattung der Kindergärten war Hermann Schick sehr wichtig. Wusste er doch wie Schiller, dass es vor allem die frühkindliche, spielerische Erziehung ist, die den Menschen nachhaltig prägt. Als Lehrer und stellvertretender Schulleiter des FSG war er natürlich auch beruflich der Bildung verpflichtet. Es freute ihn deshalb ganz besonders, dass seine Ideen Früchte trugen und einige seiner Schülerinnen und Schüler in den Marbacher Gemeinderat gewählt wurden. Ein “Musterschüler”, Claus Schmiedel, schaffte es sogar in den Landtag.
- Der Vermittler
War der frühe Schiller ähnlich wie Goethe noch ein Stürmer und Dränger, so wandelten sich beide vor dem Hintergrund der Schrecken der Französischen Revolution. Es ging ihnen in ihrer klassischen Phase um die Vermittlung zwischen den Gegensätzen. Goethe hat hierfür in seinen Wahlverwandtschaften die Figur namens “Mittler” erschaffen. Ein solcher “Mittler” war Hermann Schick. Beeindruckt vom diplomatischen Mittler-Ansatz Willy Brandts trat er 1970 in die SPD ein. Dort vermittelte er zwischen dem eher traditionell geprägten Vorstand um Hermann Rauschnabel und den von Willy Brandt beeinflussten Mitgliedern wie Eberhard Waser, Karl-Heinz Wilcke, Rosi Plettner und Karl Strähle. Jahre später schrieb Hermann Schick in seiner Broschüre “100 Jahre SPD Marbach” über die “kleine Revolution” der Brandt-Mitglieder: “Ein Ortsverein, der sich innerhalb weniger Jahre so grundlegend verändert hatte, dessen Mitglieder teilweise mit höchst unterschiedlichen Erwartungen in die Partei gegangen waren, konnte deshalb auch nicht mehr in der herkömmlichen Weise geführt werden”. Man erkennt das Ringen um die diplomatische Formulierung zur Beschreibung der “kleinen Revolution” im Ortsverein. Hermann Schick wurde für seine Bemühungen mit der Spitzenposition für die Gemeinderatsliste belohnt, gewählt und wenige Jahre später auch Fraktionsvorsitzender.
Im Gemeinderat und im Ortsverein wurde Hermann Schick berühmt für seinen Satz: “Ich muss mich sehr wundern”. Wenn dieser Satz fiel, wusste jeder, jetzt sollte man aufpassen. Claus Schmiedel beschrieb den Satz als Teil eines diplomatischen Schachzugs. Hermann Schick wiederholte nach diesem Satz zunächst respektvoll die Position seines Gegenübers, um ihn in den folgenden Gedankengängen, die in eine ganz andere Richtung gingen, mitzunehmen. Um zu überzeugen, nicht zu überrumpeln. Auf diese Art konnte Hermann Schick beispielsweise einen Ausgleich bei einer Streitfrage erzielen, die den Gemeinderat und die Bürgerschaft entzweite. Es ging um die Frage, ob in der Altstadt eine Fußgängerzone eingerichtet werden sollte oder nicht. Die Frage kommt uns heute bekannt vor. Hermann Schick brachte mit seinem Vorschlag eines gemeinsamen Probelaufs die Lösung. Am Ende stand ein Kompromiss für die Fußgängerzone.
- Der Historiker
Schillers erste Vorlesung als Geschichtsprofessor in Jena trug den Titel: “Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?”. Zu welchem Zweck hat sich Hermann Schick mit der Geschichte beschäftigt? Man sieht in seiner Stadtgeschichte zu Marbach, wie viel Mühe er sich zusammen mit dem Stadtarchivar Albrecht Gühring gemacht hat, wie viel Archivmaterial er gesichtet und verarbeitet hat. Sein Buch zur Stadtgeschichte Marbachs kann sich sehen lassen. Noch mehr: Für eine Stadt in der Größe Marbachs ist der Umfang und die wissenschaftliche Tiefe dieser Stadtgeschichte außergewöhnlich. Eine Meisterleistung. Doch zu welchem Zweck? War diese wissenschaftliche Akribie ein Selbstzweck? Nein. Geschichtsschreibung ist immer auch eine Konstruktion. Sie erhält von der Gegenwart ihre Bedeutung. Oder mit Goethes Faust: “Was ihr den Geist der Zeiten heißt, Das ist im Grund der Herren eigner Geist, In dem die Zeiten sich bespiegeln”. Welche gegenwärtige Bedeutung Marbachs wollte Hermann Schick mit der Stadtgeschichte Marbachs hervorheben? Hermann Schick begann seinen Beitrag zur Stadtgeschichte mit Schiller und er endete mit Schiller. Er beschrieb in seinem Beitrag die Geschichte der Stadt Marbach als eine Geschichte der Entwicklung zur Schillerstadt Marbach. Hermann Schick erkannte, welches Potential hinter diesem - um es modern zu formulieren - “Label” steckt. Mit dieser historischen Beschreibung hat er uns Marbacher Bürgern einen Auftrag hinterlassen. Marbach nicht nur zu “labeln”, sondern auch den Geist Schillers zu leben.
Zum Schluss noch ein persönliches Wort: Ich möchte mich bei Hermann Schick bedanken. Gerade zu Beginn meiner eigenen Tätigkeit als Vorsitzender der SPD Marbach habe ich häufiger auf seinen erfahrenen Rat zurückgreifen dürfen. Für diese Gespräche Hermann, deine politisch weitblickenden Einschätzungen und dein offenes Ohr: vielen Dank!
Wir nehmen Abschied von jemandem, der sich in bewundernswerter Weise der Gemeinschaft im Sinne Schillers verpflichtet sah. Hermann Schick wird nicht nur der SPD, sondern uns allen fehlen. Gerade in Zeiten, in denen das soziale und politische Engagement nachlässt; in Zeiten, in denen rechtsextremes Gedankengut wieder salonfähig wird; in Zeiten, in denen ein wissenschaftlicher Zugang zur Wahrheit verunglimpft und willkürliche Geschichtsklitterungen Einzug halten; in Zeiten, in denen ein aktives Engagement für die Gemeinschaft mehr und mehr von Hass und Hetze überschattet wird; in Zeiten des abnehmenden Lichts, ja, in diesen Zeiten fehlt ein weltoffener, gebildeter, historisch und wissenschaftlich fundierter sowie sozial-politisch engagierter Mensch wie es Hermann Schick gewesen ist. Für unsere Demokratie, für unsere Gesellschaft und für unsere Gemeinde ist der Tod von Hermann Schick ein großer Verlust. Er wird deshalb auch in Zukunft einen wichtigen Platz in unseren Erinnerungen haben.
Lieber Hermann, vielen Dank!