Die Zukunft unserer Demokratie steht auf dem Spiel

Veröffentlicht am 01.06.2019 in Ortsverein
 

Karin Götz forderte in ihrem letzten Kommentar zur Wahl 2019 von der SPD einen kritischen Umgang mit den Wahlergebnissen. Es reiche nicht, nur auf den allgemein schlechten Trend der Bundes- und Landespolitik zu verweisen. Dieser Hinweis ist wichtig, auch wenn er nicht ganz stimmt. Die große Politik stand und steht in einer Beziehung zur kleinen Politik in den Kommunen. Dennoch beeinflusste die große Welt nicht ihren kleineren Gegenpart, sondern beide Seiten plagen dieselben Probleme.

Diese Probleme im Großen wie im Kleinen der Politik möchte ich an einem persönlichen Beispiel darstellen. Seit zehn Jahren unterrichte ich als Lehrer an verschiedenen Gymnasien im Land Baden-Württemberg das Fach Politik. Seit zehn Jahren beobachte ich, wie die Abneigung der jungen Menschen gegenüber den Parteien wächst. Kaum einer dieser jungen Menschen aus der sogenannten „Generation Y“, d.h. der zwischen 1980 und 2000 Geborenen, fühlte sich mit unseren demokratischen Parteien verbunden. Kaum einer dieser jungen Menschen engagierte sich für eine der demokratischen Parteien. Geht man in die Ortsvereine der Parteien, ergibt sich ein ähnliches Bild. Die Parteien altern und es rücken viel weniger junge Menschen nach. Ohne den Nachwuchs sterben die Parteien aus. Ohne unsere demokratischen Parteien wird es schwierig, die Demokratie, wie wir sie kennen, aufrechtzuerhalten. Was ist schief gelaufen? Warum engagieren sich junge Menschen nicht mehr so häufig in den Parteien? Haben die Parteien es verpasst, sich um den Nachwuchs zu kümmern?

 

Der Ausgang der Wahlen sollte den Parteien zum Nachdenken geben. Da hat Karin Götz recht. Die beiden großen Volksparteien verlieren. Auch die Grünen sollten sich nicht auf ihrem Erfolg ausruhen. Viele ihrer Wähler haben sie nicht gewählt, weil sie die Grünen gut finden, sondern aus Mangel an Alternativen. Die Abneigung gegenüber den Parteien von Seiten junger Menschen trifft sie zwar nicht so hart wie die beiden „Volksparteien“, aber dennoch bleiben die Grünen nicht davon verschont. Aber es geht nun nicht darum, Schuldige zu finden, sondern es geht darum, im Großen wie im Kleinen auf diese Situation zu reagieren. Ich rufe im Großen die Parteispitzen dazu auf, sich um die jungen Menschen der „Generation Y“ und deren Probleme zu kümmern: Überfüllte Hörsäle in den Universitäten, eine Entwertung der Bildungsabschlüsse, hohe Immobilienpreise, überfüllte Kindergärten, hohe Kitagebühren. Die Familiengründung fällt in solchen Zeiten schwer. Das muss sich ändern und zwar nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen. Im Ortsverein und in der Kommune müssen die Parteien auf die jungen Leute zugehen und nicht warten, bis diese auf die Parteien zukommen. Das ist die Zukunftsaufgabe für alle demokratischen Parteien.

Wir, die demokratischen Parteien, müssen den jungen Menschen und den jungen Familien das Gefühl geben, ihre Probleme wahrzunehmen und diese auch aktiv anzugehen. Wir müssen ihnen eine echte Perspektive bieten. Nur dann verschwindet der fatalistische Eindruck auch meiner Schüler, die Politik nicht beeinflussen zu können.

 

Aber nicht nur die Parteien sind gefragt, sondern auch die Schule, die Universitäten und die Arbeitgeber. Junge Menschen dürfen nicht mit immer mehr Ballast abgefüttert werden, sondern sie brauchen Muse, um sich politisch engagieren zu können. Weniger ist sowohl in der Schule als auch im Arbeitsleben mehr. Auch die Bildungsinhalte im Politik- und Geschichtsunterricht sowie der tägliche Umgang in der Schule sollte sich die Frage gefallen lassen, ob hier nicht ein zu rosiges Bild unserer Gesellschaft vermittelt wird. Die Demokratie wird immer noch als das große aufklärerische Emanzipationsprojekt für eine bessere Welt dargestellt. Das bedeutet vor allem eine moralische Überfrachtung. Wir leben nicht in einer Gesellschaft und nicht in einer Welt, in der gewaltfreie und machtfreie Diskurse an der Tagesordnung sind, wie sie der große Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas vorsah. Auch in einer Demokratie existieren Machtkämpfe, sie sind sogar an der Tagesordnung. Und auch hier werden diese Machtkämpfe nicht immer fair und selten über einen machtfreien Diskurs ausgetragen. Ebenso in den Wirtschaftsunternehmen oder in den vielfältigen Beamtenapparaturen. Das hat systemische Gründe. Um es mit Niklas Luhmann zu sagen, Politik bedeutet Macht. Wir dürfen nicht den Fehler begehen, die Parteien als den machtpolitischen Sumpf von der an sich guten Demokratie zu trennen. Das sollte uns die Geschichte lehren. Denn schließlich konnte Adolf Hitler über diesen argumentativen Hebel sowohl die demokratischen Parteien als auch die Demokratie selbst beseitigen. Parteien, Macht und Demokratie. Das gehört zusammen. Die Demokratie sollte deshalb nicht als das Paradies auf Erden begriffen werden, das vom teuflischen Parteienstreit korrumpiert wird, sondern beides gehört zusammen. Die Demokratie ist immer noch die beste aller bekannten möglichen Welten im Multiversum der politischen Beteiligungsformen. Auch wenn der Eindruck von Seiten der Wähler oft ein anderer ist, aber als Wahlkämpfer weiß man, jede Stimme zählt.

 

Auch die Medien müssen sich hinterfragen. Die vielleicht systemisch bedingte depressive Darstellungsform der Nachrichten, sich immer auf den Skandal zu stürzen, hat sich in den letzten Jahrzehnten verdichtet. Nachrichten in der Zeitung und im Fernsehen sind in der Regel schlechte Nachrichten. Die guten Nachrichten interessieren nicht. Auch die guten Nachrichten in der Politik sind weniger von Interesse. Das Bild von einer an sich guten Demokratie auf der einen Seite und den machtpolitisch korrumpierten Parteien auf der anderen Seite ist nicht zuletzt auch ein Konstrukt der Medien. Parteien sind jedoch nicht das notwendige Übel der Demokratie, sondern sie sind deren Lebensnerv, deren Zentrum. Um es sehr kompliziert auszudrücken: Pluralität muss organisiert werden, sonst endet man im Chaos der Zerstörung. Das Problem besteht nun darin, dass eine Organisation, z.B. eine Partei, weitgehend das Gegenteil von Pluralität bedeutet. Organisationen sind hierarchische Gebilde. Pluralität können sie nur in engen Grenzen zulassen, ansonsten zerbrechen sie oder spalten sich auf. Die Pluralität in unserer Gesellschaft wird somit organisiert von hierarchischen Parteien. Umso pluraler eine Gesellschaft auftritt, umso unzufriedener sind die Menschen mit den Parteien und umso größer wird deren Spektrum. Aber alles hat seine Grenzen. Auch die Pluralität kann Grenzen übertreten und das Chaos heraufbeschwören. Deshalb brauchen wir Parteien.

 

Zuletzt sind aber auch die jungen Menschen selbst gefragt. Die Generationen vor uns haben unsere Parteiendemokratie mühevoll erkämpfen und erlernen müssen. Sie haben gelernt, welcher Preis dafür gezahlt werden muss. Es ist der Preis der Macht: Wer Entscheidungen durchsetzen möchte, muss Verantwortung übernehmen; wer Verantwortung übernehmen will, muss sich dem Parteienstreit aussetzen und kann nicht über ihm schweben. Insofern kann die ältere Generation uns jungen Menschen – ich zähle mich noch zur „Generation Y“ - ein Vorbild sein und uns mit ihrer Erfahrung bereichern. Wir müssen dieses Vorbild nur erkennen wollen. Es geht darum, mit Hilfe der Erfahrung der älteren Generationen die Grenzen der Pluralität vorsichtig auszuloten und dafür auch einzustehen. Es geht daher nicht an, die Parteien über YouTube und sonstige Social Medias nur zu kritisieren. Wer kritisiert, steht in der Pflicht, selbst Verantwortung zu übernehmen. Das ist der Lebensnerv unserer Parteiendemokratie. Keiner kann sich außerhalb des Parteienhaders stellen, denn jeder ist Teil dieser Gesellschaft. Eine bessere Gesellschaft hinter dieser Gesellschaft gibt es nicht. Wir können eine solche nur hier und mit ihr schaffen.

 

Alle Seiten in unserer Gesellschaft stehen vor einer großen Aufgabe. Der Generationenumbruch hat begonnen. Wenn er nicht gelingt, steht unsere Demokratie auf dem Spiel.

 

Dr. Nikolai Häußermann, SPD-Ortschaftsrat Rielingshausen

 

 

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