Die Szenen in den USA erinnern stark an den Beginn der Französischen Revolution im Sommer 1789. Ein historischer Vergleich der Situation von König Ludwig XVI. und Donald Trump könnte Aufschluss über die Befürchtungen eines Staatsstreiches geben. Lässt sich aus der Geschichte lernen?
von Dr. Nikolai Häußermann
Als der französische König Ludwig XVI. am Abend des 14. Juli 1789 zurück von der Jagd auf sein Schloss Versailles heimkehrte, notierte er in sein Tagebuch „rien“: „nichts“. Der König lebte in einer „Blase“ weit weg von den Geschehnissen in Paris in diesem Sommer. Er hatte das weltgeschichtliche Ereignis, den „Sturm auf die Bastille“ verpasst. Ähnlich beschrieb der Berater des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, Ben Rhodes, die Situation in Washington. Das Weiße Haus und das politische Establishment befinde sich in einer „Blase“ weit weg von den Problemen der Menschen. Immer wieder versuchten die Obamas, diese Blase zu durchbrechen und zu den „normalen“ Menschen durchzustoßen. Doch beim darauf folgenden Präsidenten ist es mehr als zweifelhaft, ob dieser solche Versuche jemals in Erwägung gezogen hat. Vielmehr hat sich Donald Trump laut den Berichten einiger Dissidenten seiner Umgebung in diese Blase eingeigelt und mit Hass angereichert. Die Konsequenzen dieser hasserfüllten Blase sehen wir nun: ein Bürgerkrieg scheint nicht mehr in allzu weiter Ferne zu sein, möglicherweise sogar eine Revolution.
Damit sind die auffälligen Parallelen zu Ludwig XVI. noch nicht aufgebraucht. Vieles könnte man vergleichen, angefangen von der Coronapandemie, die sicherlich eine ähnliche hintergründige Wirkung entfaltet wie im Sommer 1789 die Auswirkungen der Missernten in den Jahren zuvor. Oder die Solidarisierung der Polizei, Teile der Armee und der Gouverneure mit den Protestierenden in den USA, was in ähnlicher Form auch im Sommer 1789 zu Tage trat, als sich die Gardes Françaises, Teile des Adels und auch der berühmte Kriegsheld La Fayette auf die Seite der Revolution schlugen. Zieht man die Geschichte vom Sommer 1789 zu Rate, dann lassen sich über die Parallelen möglicherweise auch die Folgen und Konsequenzen mancher Ereignisse, Entscheidungen und Entwicklungen abschätzen.
Die auffälligste Ähnlichkeit besteht in der aktuellen Entscheidung des Präsidenten, Truppen nach Washington zu holen. Als Ludwig sich dazu entschied, die Truppen im Juni 1789 um Paris zusammenzuziehen, heizte das die bereits schon aufgeladene Atmosphäre in Paris an. Die Bevölkerung bekam es mit der Angst zu tun. Man befürchtete ein Massaker. Diese Angst löste genau das aus, was der König mit der Truppenmassierung eigentlich verhindern wollte: eine Revolution.
Donald Trump wird nun von einigen Beobachtern der Lage unterstellt, er strebe an, Chaos zu sähen, einen Bürgerkrieg heraufzubeschwören und sich dadurch als „Law-and-Order“-Präsident zu verkaufen. Letztendlich ginge es darum, dass Trump eine Diktatur errichten wolle. Genau diese Strategie unterstellte man auch König Ludwig. Als dieser vor den Abgeordneten der drei Stände erschien, geschützt von seinen Truppen, um die Auflösung der Versammlung zu erzwingen, widersprach der einflussreiche Adlige Mirabeau: „Was ist das für eine beleidigende Diktatur? Ein Militärapparat, eine Verletzung des nationalen Heiligtums“.
Möglicherweise liegt es an einem systemischen Mechanismus der Macht, immer eine Strategie hinter bestimmten Entscheidungen zu sehen. Die Alternative legt uns Ludwig nahe: es gab keine große Strategie. Seiner Entscheidung, die Truppen nach Paris zu rufen, unterlag kein Masterplan. Vielmehr regierte auch ihn genauso wie die Bevölkerung die Angst. „Die Angst rechnet und überlegt nicht“, das musste auch ebenjener Mirabeau etwas später zugeben, der dem König kurz zuvor noch einen Plan zur Erlangung der Diktatur unterstellt hatte.
Ob nun die Meinungen zu einem Masterplan bei Trump zutreffen oder nicht, wollen wir offen lassen. Aber die Alternative liegt bei der Betrachtung Ludwigs auf der Hand: statt Strategie Zufall, statt ausgeklügelter Masterplan ein Stück Dummheit, statt Bosheit Angst. Im Falle Trumps müssen das zukünftige Historikergenerationen entscheiden. Aber selbst wenn diese Beurteilung von Trumps Politik zutrifft, und er ähnlich wie Ludwig keine ausgeklügelte Strategie verfolgt, bedeutet das nicht, man könne beruhigt sein. Ganz im Gegenteil. Gerade die Kombination aus einer planlosen Politik, einer isolierenden und angsterfüllten Blase und der Unterstellung von außen, hinter dieser Planlosigkeit stecke ein geheimer machiavellistischer Masterplan, führt zu derjenigen „unglücklichen Verkettung von Umständen“ (Mirabeau), die auch im Sommer 1789 zur Revolution geführt hat.
Sicherlich lassen sich auch ganz andere historische Parallelen heranziehen. Schon vor Jahren sprach der Politikwissenschaftler Herfried Münkler davon, die USA stehe vor einer „augusteischen Schwelle“. Der Übergang von der Römischen Republik zum autokratischen Kaiserreich stehe demnach auch in der USA bevor. Aber glücklicherweise sind Historiker und Politikwissenschaftler nicht besonders gut darin, die Zukunft vorherzusagen. Hoffen wir darauf, dass weder das Szenario der Französischen noch dasjenige der Römischen Revolution sich in den USA wiederholt, denn beide Revolutionen haben einen hohen Blutzoll nicht nur in Frankreich und Italien gefordert, sondern in der gesamten damals bekannten Welt.